Wann kommt Jesus wieder?

Einleitung
In diesem Artikel soll es um die Parusie Christi gehen. Unter Parusie versteht man die Wiederkunft Christi am Jüngsten Tag. Einige Kritiker des Christentums argumentieren hierbei wie folgt: Jesus versprach fest zu Lebzeiten der Jünger zurückzukehren. Da dies aber nicht geschah muss er sich geirrt haben und kann somit nicht Gottes Sohn bzw. die Bibel kann nicht Gottes Wort sein. Dieses Argument ist kein neuer Gedanke, sondern wird schon seit einigen Jahrzehnten in dieser oder ähnlicher Form vorgetragen. Zwei Beispiele im Internet finden sich auf bibelkritik.ch und auf nordwest.net. Es sollen daher nachfolgend einige der Bibelzitate aus den Links betrachtet werden um zu sehen, ob sie nur die oben genannten Schlussfolgerungen zulassen.

Kurze Zeit bis zur Wiederkunft?
Beginnen wir nun mit der Betrachtung der Zitate, aus denen gefolgert wird, dass Jesus eine baldige Wiederkunft versprochen hätte.

Mathhäus 24:34-35

Mathhäus 24:34 Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschieht. 35 Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen. 36 Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.

Eine entsprechende Passage findet sich auch in Markus 13:30.

Dieses Geschlecht wird von Kritikern als diejenige Generation interpretiert, welche zur Zeit von Jesus gelebt hat. Hierbei wird aber vor allem der Gesamtzusammenhang von Matthäus 24 außer Acht gelassen, denn dieser ist eindeutig im Sinne einer fernen Wiederkehr Jesu zu sehen:

Matthäus 24:3 Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und sprachen, als sie allein waren: Sage uns, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt? 4 Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, dass euch nicht jemand verführe. 5 Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen. 6 Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn das muss so geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da. 7 Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort. 8 Das alles aber ist der Anfang der Wehen. 9 Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern. 10 Dann werden viele abfallen und werden sich untereinander verraten und werden sich untereinander hassen. 11 Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen. 12 Und weil die Ungerechtigkeit überhand nehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten. 13 Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. 14 Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen.

Hier werden viele Zeichen genannt, die seiner Wiederkunft vorausgehen. An diesen lässt sich ablesen, dass diese kaum in 30-40 Jahren (also zu Lebzeiten der Jünger) stattfinden können, sondern, dass dazu längere Zeiträume nötig sind. Parallelstellen dazu finden sich auch bei Markus und Lukas.

Außerdem wird das Wort Geschlecht an vielen Stellen der Bibel nicht im Sinne der lebenden Generation gesehen. Bekanntestes Beispiel ist sicher das „Geschlecht Davids“, das Personen umfasst, die über einen Zeitraum von über 500 Jahren gelebt haben. Dieses Geschlecht aus Matthäus 24:34 lässt sich daher am sinnigsten auf das Geschlecht des Volkes Israel oder auf das ganze Menschengeschlecht beziehen. Beide sind bis heute nicht vergangen. Des Weiteren fügt sich der Vers so problemlos in den Zusammenhang von Kapitel 24 ein, so dass man keine inneren Widersprüche innerhalb eines einzigen Kapitels annehmen muss. Matthäus 24:34 muss daher nicht als Naherwartung gedeutet werden.

Markus 9:1

1 Und er sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Es stehen einige hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie sehen das Reich Gottes kommen mit Kraft.

Diese Stelle ist sicher eine der kritischeren. Dennoch gibt es Lösungsansätze. So muss festgestellt werden, dass Jesus nicht immer dort wo er „vom Reich Gottes“ spricht, sein zweites Kommen und somit das Ende der Welt meint. So zum Beispiel in Markus 1.

14 Nachdem man Johannes ins Gefängnis geworfen hatte, ging Jesus wieder nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes 15 und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium! 16 Als Jesus am See von Galiläa entlangging, sah er Simon und Andreas, den Bruder des Simon, die auf dem See ihr Netz auswarfen; sie waren nämlich Fischer. 17 Da sagte er zu ihnen: Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen. 18 Sogleich ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm.

Hier redet er vom hier und jetzt, also seinem ersten Kommen. Der Sohn Gottes ist in die Welt getreten und gibt mit seinen Wundern und Lehren Einblicke in das was Gott zu tun vermag. Dies umschreibt der Evangelist Johannes im ersten Kapitel seines Evangeliums wie folgt:

Joh 1,14 Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.

Gott hat mitten unter den Menschen gewohnt und war ihnen somit nahe und gab Einblicke in sein künftiges Reich.
Somit lässt sich auch Markus 9:1 in der Hinsicht deuten, dass Jesus hier von Dingen spricht, die mit seinem ersten Kommen verbunden sind. Am naheliegensten wäre seine Verklärung, die bereits ab Markus 9:2 geschildert wird:

2 Sechs Tage danach nahm Jesus Petrus, Jakobus und Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg, aber nur sie allein. Und er wurde vor ihren Augen verwandelt; 3 seine Kleider wurden strahlend weiß, so weiß, wie sie auf Erden kein Bleicher machen kann. 4 Da erschien vor ihren Augen Elija und mit ihm Mose und sie redeten mit Jesus.

Das größte Zeichen, das den Menschen bei Jesus erstem Kommen zu Teil wurde, ist sicherlich seine Auferstehung, die er in Markus 9:1 angesprochen haben könnte. Aber ebenso könnten auch seine Himmelfahrt oder das Herabkommen des Heiligen Geistes am Pfingsttag gemeint sein. Dies lässt sich wohl nicht eindeutig klären, zeigt aber, dass es durchaus andere Möglichkeiten gibt als anzunehmen, dass Jesus eine baldige Wiederkunft versprach, sich aber irrte.

Matthäus 10:22-23
Ein weiteres ausgewähltes Zitat ist:

Matthäus 10:22 Und ihr werdet gehasst werden von jedermann um meines Namens willen. Wer aber bis an das Ende beharrt, der wird selig werden. 23 Wenn sie euch aber in einer Stadt verfolgen, so flieht in eine andere. Wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen, bis der Menschensohn kommt.

welches im Sinne einer baldigen Parusie gedeutet wird. Im Internet habe ich einen Kommentar zu diesem Vers gefunden, der meiner Meinung nach sehr treffend eine alternative Interpretationsmöglichkeit zusammenfasst:

Vor diesem Hintergrund ist Matthäus 10:23 zu sehen; der Vers kennzeichnet sein ‘Kommen’ im Gericht über das jüdische System, das er wie auch die Propheten angekündigt hatte (z.B. Matthäus 24:2), und in dessen Folge viele Dinge des Alten Bundes verschwanden, denn der Menschensohn war gekommen! (…) doch würden sie mit den Städten Israels nicht fertig werden, bis der Sohn des Menschen das Gericht über Israel kommen lassen würde, wie es sich dann im Jahre 70 n.Chr. ereignete.

Wichtig ist hierbei wieder erneut der Textzusammenhang des ganzen Kapitels, sowie die damalige Situation:

Matthäus 10:16 Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben. 17 Hütet euch aber vor den Menschen; denn sie werden euch den Gerichten überantworten und werden euch geißeln in ihren Synagogen. 18 Und man wird euch vor Statthalter und Könige führen um meinetwillen, ihnen und den Heiden zum Zeugnis. (…) 22 Und ihr werdet gehasst werden von jedermann um meines Namens willen. Wer aber bis an das Ende beharrt, der wird selig werden.

Diejenigen von denen die Jünger verraten und vor Gericht gezerrt werden, sollen die Juden sein. Diese Macht hatten die Juden nur so lange bis die Römer im Jüdischen Krieg das Land verwüsteten und einen Großteil des Volkes zerstreuten. Danach hatten die Christen viele andere Feinde wie die Römer unter deren Verfolgung sie des Öfteren zu leiden hatten. Dass es aber das Ziel der Christen war nicht nur die Juden, denen sie das Evangelium zuerst verkündigten, sondern die ganze Welt zu missionieren, wird schon im ältesten der Evangelien, dem Markusevanglium, ganz klar von Jesus gesagt:

Markus 13:10 Und das Evangelium muss zuvor gepredigt werden unter allen Völkern.

Also musste noch etwas kommen, nachdem man mit den Städten Israels „zu Ende gekommen war“. Somit konnte mit Matthäus 10:22-23 nicht das Ende der Welt gemeint sein. Es ergibt sich also auch hier kein unausweichlicher Zwang die Verse im Sinne einer nahen Parusie zu deuten.

Briefe des Apostels Paulus
Des Weiteren finden sich vier Zitate des Apostels Paulus um die nahe Wiederkehr Jesus zu belegen. Die Stellen sind 1 Thessalonicher 2:17-20, 1 Thessalonicher 3:13, 1 Thessalonicher 4:15-18 und 1 Thessalonicher 5:20-24. Also alle aus dem selben Schriftstück des Apostels. Davon abgesehen die Frage: Hat man hier keine andere Wahl als zu akzeptieren, dass Paulus nur an eine nahe Wiederkehr seines Herrn glaubte? Auch hier ist es angebracht das ganze Neue Testament bzw. sämtliche Briefe des Apostels gemeinsam zu betrachten. Ebenfalls in Kapitel 1 des Thessalonicherbriefes schreibt Paulus:

1 Thess. 5:1 Von den Zeiten und Stunden aber, liebe Brüder, ist es nicht nötig, euch zu schreiben; 2 denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommen wird wie ein Dieb in der Nacht.

Es ist also absolut nicht vorherzusehen, wann der Tag des Herrn kommen wird. Von daher kann sich der Apostel auch nicht sicher gewesen sein, dass Jesus in den ersten 40 Jahren nach seiner Himmelfahrt wiederkommen würde, denn dann könnte der Dieb nicht vollkommen überraschend kommen, weil man ihn innerhalb eines festen, überschaubaren Zeitrahmens erwarten kann. Deutlicher wird Paulus dann in seinem zweiten Brief an die selbe Gemeinde der Thessalonicher:

2 Thess 2:2 Lasst euch nicht so schnell aus der Fassung bringen und in Schrecken jagen, wenn in einem prophetischen Wort oder einer Rede oder in einem Brief, der angeblich von uns stammt, behauptet wird, der Tag des Herrn sei schon da. 3 Lasst euch durch niemand und auf keine Weise täuschen! Denn zuerst muss der Abfall von Gott kommen und der Mensch der Gesetzwidrigkeit erscheinen, der Sohn des Verderbens, 4 der Widersacher, der sich über alles, was Gott oder Heiligtum heißt, so sehr erhebt, dass er sich sogar in den Tempel Gottes setzt und sich als Gott ausgibt.

Sicher ist, dass dem Apostel sehr viel daran lag die Gemeinde der Thessalonicher zur Wachsamkeit zu mahnen, damit sie, wenn der Tag des Herrn kommt, auch bereit sein würde. Diese Wachsamkeit musste stets aufrecht erhalten werden, auch damit sie an die nächste Generation weitergegeben werden konnte. Denn wenn sie einmal verloren gegangen wäre, dann wäre sie nie wieder zurückkommen. Hätte Paulus damals geschrieben: „Es ist wohl wahrscheinlicher, dass Jesu erst in vielen Jahrhunderten wiederkommt.“ wäre es mit der Wachsamkeit aus gewesen. Daher werden die christlichen Kirchen auch heute nicht müde vor allem in der Adventszeit die nötige Wachsamkeit zu betonen, so wie es Paulus damals tat. Ebenfalls ist zu sagen, dass ja nicht auszuschließen war, dass Jesus auch zu Lebzeiten der Apostel hätte zurückkehren können, denn er selbst wies immer wieder darauf hin, dass die Zeit seiner Wiederkehr von den Menschen nicht vorhersehbar sein wird.

Markus 13:33 Seht euch also vor und bleibt wach! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist

Also mussten sowohl die Apostel selbst, als auch alle ihre Nachfolgegenerationen stets mit der Wiederkunft Jesu rechnen.
Zusammenfassend lässt sich für diesen Abschnitt sagen, dass Paulus sicher nicht ausschloss, dass Jesus auch zu seiner Zeit hätte zurückkehren können und dass in der ersten Generation der Christengemeinde eine Naherwartung vorherrschte. Doch dass er auch nicht die Wahrheit des christlichen Glaubens daran festmachte, dass dies zu Lebzeiten der Apostel geschieht, sondern auch durchaus später passieren kann. Betrachtet man also die Gesamtheit der Paulusaussagen müssen die vier Zitate nicht zwangsläufig in dem Sinne gedeutet werden, dass Paulus fest davon überzeugt war, dass die Parusie zu seinen Lebzeiten stattfinden würde.

Die spätere Parusie
In den Links finden sich auch zwei Zitate (Matthäus 24:11-14 und Markus 13:10), die dahin interpretiert werden, dass die Wiederkunft Jesu zu einem weit späteren, noch völlig unbekannten Zeitpunkt erwartet wird. Wie bereits dargelegt, weist das komplette Kapitel Matthäus 24 in diese Richtung.
Doch es gibt im Neuen Testament mehr Stellen, als diese beiden. So weist Jesus jegliche Versuche zurück das Datum seiner Wiederkunft abzuschätzen:

Markus 13:32 Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater. 33 Seht euch also vor und bleibt wach! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist.

oder:

Matthäus 24:42 Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt. 43 Bedenkt: Wenn der Herr des Hauses wüsste, zu welcher Stunde in der Nacht der Dieb kommt, würde er wach bleiben und nicht zulassen, dass man in sein Haus einbricht. 44 Darum haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.

Also wäre es eben auch für die Apostel unmöglich gewesen, sicher zu sein, dass Jesus während ihres irdischen Lebens zurückkommt. Natürlich war es möglich daran zu glauben, aber sie konnten sich nicht sicher sein. Im ersten Kapitel der Apostelgeschichte wird diese Aussage während der Himmelfahrt bestätigt:

Apg. 1:7 Er sagte zu ihnen: Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat. 8 Aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde. 9 Und als er das gesagt hatte, wurde er zusehends aufgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg.

Hinweise auf eine späte Parusie finden sich vor allem auch in Jesu Gleichnissen:

Markus 13:34 Es ist wie mit einem Mann, der sein Haus verließ, um auf Reisen zu gehen: Er übertrug alle Verantwortung seinen Dienern, jedem eine bestimmte Aufgabe; dem Türhüter befahl er, wachsam zu sein. 35 Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, wann der Hausherr kommt, ob am Abend oder um Mitternacht, ob beim Hahnenschrei oder erst am Morgen. 36 Er soll euch, wenn er plötzlich kommt, nicht schlafend antreffen. 37 Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam!

Die Apostel wussten nicht, ob Jesus heute, nächstes Jahr oder in fünf Jahrtausenden kommen würde. Ihnen und den Folgegenerationen bleibt nichts anderes als Jesu Mahnung zu folgen, die sich im Neuen Testament immer wieder finden lässt: “Seid wachsam!“.
Ein weiteres Gleichnis ist das Folgende:

Mattäus 25:14 Es ist wie mit einem Mann, der auf Reisen ging: Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an. 15 Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten. Dann reiste er ab. Sofort 16 begann der Diener, der fünf Talente erhalten hatte, mit ihnen zu wirtschaften, und er gewann noch fünf dazu. 17 Ebenso gewann der, der zwei erhalten hatte, noch zwei dazu. 18 Der aber, der das eine Talent erhalten hatte, ging und grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld seines Herrn. 19 Nach langer Zeit kehrte der Herr zurück, um von den Dienern Rechenschaft zu verlangen.

Die Interpreation dieses Gleichnisses ist wohl eindeutig.
Ein weiterer Grund der auf eine späte Parusie hinweist, ist die Tatsache, dass Jesus beschloss auf Erden seine Kirche einrichten, wie dies bei Matthäus berichtet wird:

Matthäus 16:18 Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.

Diese Kirche aufzubauen ist sicher keine Sache von 20 oder 30 Jahren sondern von weit größeren Zeiträumen. Selbst wenn man davon ausginge, dass 30 Jahre genug wären um sie aufzubauen, wäre dies eine ziemlich sinnlose Unternehmung, wenn man sie kurz danach mit dem Ende der Welt wieder auflöst.
Eine letzte Bibelstelle, die hier aufgeführt werden soll stammt aus dem zweiten Petrusbrief:

2. Petrus:3:3 Vor allem sollt ihr eines wissen: Am Ende der Tage werden Spötter kommen, die sich nur von ihren Begierden leiten lassen und höhnisch sagen: 4 Wo bleibt denn seine verheißene Ankunft? Seit die Väter entschlafen sind, ist alles geblieben, wie es seit Anfang der Schöpfung war. 5 Wer das behauptet, übersieht, dass es einst einen Himmel gab und eine Erde, die durch das Wort Gottes aus Wasser entstand und durch das Wasser Bestand hatte. 6 Durch beides ging die damalige Welt zugrunde, als sie vom Wasser überflutet wurde. 7 Der jetzige Himmel aber und die jetzige Erde sind durch dasselbe Wort für das Feuer aufgespart worden. Sie werden bewahrt bis zum Tag des Gerichts, an dem die Gottlosen zugrunde gehen. 8 Das eine aber, liebe Brüder, dürft ihr nicht übersehen: dass beim Herrn ein Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag sind. 9 Der Herr zögert nicht mit der Erfüllung der Verheißung, wie einige meinen, die von Verzögerung reden; er ist nur geduldig mit euch, weil er nicht will, dass jemand zugrunde geht, sondern dass alle sich bekehren. 10 Der Tag des Herrn wird aber kommen wie ein Dieb.

Wichtig hierbei sind vor allem die Verse 8 und 9. Wieso hätte Petrus bzgl. des Endes der Welt davon gesprochen, dass tausend Jahre bei Gott wie ein Tag sind, wenn es doch die volle Überzeugung des Glaubens der Apostel gewesen wäre, dass bis Jesu Wiederkunft nur einige Jahre vergehen würden? Im Gegenteil: Er bereitet hier seine Leser darauf vor, dass auch damit zu rechnen ist, dass es durchaus noch lange dauern kann bis Jesus wieder auf die Erde kommt. Dies ist auch ein Zeichen dafür, dass 1. Petr 4,7 vergleichbar den Briefen des Apostel Paulus nicht in der Hinsicht gedeutet werden muss, dass es für Petrus nur die Option gab, dass Jesus zu seinen Lebzeiten wiederkommen würde.

Randbemerkungen
Auf nordwest.net werden noch zwei Behauptungen aufgestellt, die näherer Betrachtung bedürfen. Zum einen ist dort zu lesen:

Die Parusie ist bekanntlich der Dreh- und Angelpunkt des ganzen Christusglaubens.

mit anschließender „Schlussfolgerung“:

Denn, wer nicht von den Toten auferstanden und folglich nicht in den Himmel aufgefahren ist, kann auch nicht von dort zurückkommen.

Erstens hat dies mit dem eigentlichen Ziel des Artikels, welches darin besteht zu zeigen, die Bibel verbreite die Aussage Jesu Wiederkehr finde zu Lebzeiten der Jünger statt, was aber nicht stattfand, nichts zu tun. Zweitens besitzt der Satz in sich schon keine Logik: Wieso ist etwas Dreh- und Angelpunkt einer Sache, wenn es andere Dinge als Vorbedingungen benötigt? Folgender Satz besitzt, die gleiche „Logik“: „Das Brechen eines Oberschenkelknochens ist Dreh- und Angelpunkt des menschlichen Lebens. Denn wer nicht gestürzt ist oder eine sonstige Krafteinwirkung auf den Knochen bestand, kann sich auch kein Bein brechen.“ Aber selbst wenn ein logischer Versuch vorgelegen hätte zu begründen, warum die Parusie Dreh- und Angelpunkt des Christentums sein soll, kann man dieser Aussage mit der Bibel selbst widersprechen, denn der zentrale Punkt des christlichen Glaubens ist der Kreuzestod und die Auferstehung des Gottessohnes.

Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden. 14 Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung
leer und euer Glaube sinnlos. (1 Kor. 15:13 )

Nirgendwo wird man Paulus oder einen anderen Apostel sagen hören:

Wenn Jesus nicht zu unseren Lebzeiten wiederkommt ist/war unser Glaube sinnlos.

Hier liegt also eine Falschaussage bezüglich des christlichen Glaubens vor.
Eine weitere hinterfragbare Behauptung ist:

Es kann mit gutem Grund angenommen werden, dass die Originalschriften der vier Evangelien im zweiten oder dritten Jahrhundert n.Chr. vorsätzlich vernichtet worden sind, weil man anhand dieser die späteren Zusätze bzw. Fälschungen hätte erkennen können.

Diese basiert zum einen auf den dort eigenwillig durchgeführten Interpretationen der verwendeten Bibelstellen. Nur wenn man, wie dort angenommen, davon ausgeht, dass sich Matthäus 24 intern widerspreche (was wie weiter oben gezeigt keineswegs zwingend ist) kann man überhaupt nachvollziehen, wie der Autor überhaupt auf eine derartige Aussage kommen kann. Allerdings sollten noch folgende Fakten berücksichtigt werden:
Es gibt kein Schriftstück der Antike von dem auch nur annährend so viele Fragmente und Abschriften erhalten sind wie von der Bibel. Zum Vergleich: Das antike Werk von dem mit 643 die zweitmeisten Fragmente gefunden wurden ist Homers Ilias. Vom Neuen Testament besitzen wir dagegen rund 25000. Einige davon sogar aus dem ersten Jahrhundert. (vgl. Josh McDowell, „The new evidence that demands a verdict“, 1999, Kapitel 3). Mit dem Bodmer-Papyrus besitzen wir zum Beispiel eine Abschrift des Johannesevangeliums, die zwischen 150-200 angefertigt wurde. Das erste nahzu vollständige Neue Testament das wir besitzen stammt aus dem Jahr 325; der berühmte von Tischendorf entdeckte Codex Sinaticus. Das heißt: Zwischen der Erstfassung und der ersten erhaltenen Abschrift liegen keine 250 Jahre. Beim Johannesevangelium nicht mal 100, bei einigen Fragmenten weniger als 50 Jahre. Wie sieht es bei anderen Werken der antiken Literatur aus? Von Cäsars Gallischem Krieg, der zwischen 100 und 44 vor Christus abgefasst wurde, liegt uns die erste erhaltene Abschrift aus dem 900. Jahrhundert vor, dass heißt fast 1000 Jahre nach dem Original. Käme deshalb jemand auf die Idee zu behaupten man habe die Originale vorsätzlich vernichtet, weil man sie heutzutage nicht mehr findet? Damit Papyrus oder Pergament lange erhalten bleibt, müssen sehr gute Bedingungen herrschen, weil sich das
Material sonst nach wenigen Jahrzehnten auflöst bzw. der Text zumindest unleserlich wird. Aber wer weiß: Vielleicht finden wir eines Tages noch mehr vollständige Abschriften von Büchern der Bibel als es heute schon der Fall ist, womit derartige Kritikmöglichkeiten von Vorne herein ausgeschlossen werden.

Schlussfolgerung
Vor der eigentlichen Schlussfolgerung hier nochmals ein Hinweis. Ich bin natürlich kein Theologe und bewege mich daher hier nicht auf meinem „Fachgebiet“, sondern kann nur aus der Sicht eines Durchschnittskatholiken schreiben, der nebenbei studiert, einen Job hat und bei der Feuerwehr ist.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal den Autor des Aufsatzes zu Wort kommen lassen, den ich oben bereits zitiert habe:

Ganz sicher gibt es für die eine oder andere Textstelle unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten. Doch zeigen die Ausführungen, daß Jesus keineswegs eine Lehre vertreten hat, die sich dann als Irrtum erwies. Daß die Wiederkunft immer noch aussteht, bis heute, spricht nicht gegen die Richtigkeit der Worte Jesu und schon gar nicht gegen die Erwartungshaltung und Lehre Jesu, der das Ziel verfolgte, seine Jünger und Nachfolger aller Zeiten in ihrer Wachsamkeit zu bestärken.

Diesen Aussagen möchte ich zustimmen. Auch ich behaupte nicht für jeden Vers der Bibel die richtige Interpretation zur Hand zu haben, das wäre vermessen. Betrachte ich aber das Neue Testament in seiner Gesamtheit, so ergibt sich für mich ein durchaus schlüssiges Bild und nicht eine Ansammlung von Widersprüchen.
Josh McDowell hat einmal sinngemäß gesagt: Wenn sich in der Bibel eine schwierige Stelle findet ist dies sicher kein Grund den Kopf in den Sand zu stecken und zu sagen: „Hierfür gibt es keine Lösung, ich gebe auf.“ Dies ist eines Wissenschaftlers unwürdig. Wenn ein Wissenschaftler etwas beobachtet, dass er nicht erklären kann, so ist dies für ihn kein Grund zu sagen: „Das ist ein Problem, dass wir nie lösen können!“, sondern es ist der Ansporn sich mit der Beobachtung auseinander zu setzen, sie zu erforschen und evt. dann auch schließlich erklären zu können. Wieso sollte das bei den Wissenschaften, die sich mit der Bibel beschäftigen anders sein? Sollte auch ein Papyrologe, ein Philologe, ein Archäologe oder ein Neutestamentler resigniert den Hut ziehen und aufgeben, wenn er auf ein Problem oder eine Schwierigkeit mit der Bibel stößt? Nein. Das soll für ihn der Startschuss für intensive Forschung sein.
Dem kann ich ebenfalls voll und ganz zustimmen.

Maria: Almah und/oder Betula?

Einleitung
Jetzt in der Vorweihnachtszeit vermehren sich in den Medien wieder die Berichte zu christlichen Themen und somit auch zur Bibelkritik. Ein Kritikpunkt, der jedem wohl schon zu Ohren gekommen ist, betrifft das siebte Kapitel des Buches Jesaja, wo es heißt:

14 Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben.

In der hebräischen Bibel steht Almah [= junge Frau], was in der griechischen Septuaginta fälschlicher Weise mit Parthenos [= Jungfrau] übersetzt worden sei. Somit würde Jesaja garnicht von einer Jungfrau schreiben. Hierzu hätte im Hebräischen Betula stehen müssen. Doch den Evangelisten lag die falsche Übersetzung vor und somit musste Maria zur Jungfrau gemacht werden, um die Prophezeiung erfüllen zu können. Eine andere Gruppe von Bibelkritikern dreht diese Argumentation dagegen um: Um Jesaja im Nachhinein als Prophezeiung zu sehen, musste dort mit Jungfrau übersetzt werden. Derartige Behauptungen finden sich zum Beispiel bibelkritik.ch oder dittmar-online.net. Einen meiner Meinung nach sehr unglücklichen Versuch der Verteidigung der Bibel findet sich auf youtube. Hierzu sollen nachfolgend ein paar persönliche Gedanken und Meinungen dargelegt werden.

Verschiedene Almah in der Bibel
Das Wort Almah kommt im Alten Testament sieben mal vor. Diese Stellen davon sollen nun, vor allem in ihrem Kontext gesehen, betrachtet werden.

Genesis 24
Im 24. Kapitel des 1. Buch Mose wird berichtet, dass Abraham seinen Diener Elieser zurück in Abrahams Heimatland schickt um dort für seinen Sohn Isaak eine Frau zu suchen, da er keine Kanaaniterin heiraten soll. So macht sich Elieser auf und bittet unterwegs Gott um Hilfe bei der Suche nach der richtigen Frau. Am Brunnen trifft er auf Rebekka, die in der Einheitsübersetzung wie folgt beschrieben wird:

16 Das Mädchen war sehr schön und sie war ledig; noch kein Mann hatte sie erkannt.

Erstaunlich an dieser Übersetzung ist allerdings, dass im hebräischen Orginal Betula steht wo nun Mädchen zu finden ist. Dass es sich um eine Jungfrau handelt ist aber auch zusätzlich dadurch sichergestellt, dass Rebekka noch keinen Mann erkannt hatte. Daher heißt es in der Lutherübersetzung der Stelle auch:

16 Und das Mädchen war sehr schön von Angesicht, eine Jungfrau, die noch von keinem Manne wusste.

Im späteren Verlauf von Kapitel 24 erzählt Elieser dann über seine erste Begegnung mit Rebekka:

43 Da stehe ich nun an der Quelle. Kommt ein Mädchen [Almah] aus der Stadt heraus, um Wasser zu schöpfen, dann will ich sagen: Gib mir doch aus deinem Krug ein wenig Wasser zu trinken!

Hier wird Rebekka als Almah bezeichnet, was hier dann eindeutig für eine Jungfrau steht, da dies in Vers 16 berichtet wurde. Zusätzlich wird aber auch Rebekkas junges Alter betont.

Exodus 2,8
Ein zweites mal taucht Almah im 2. Buch Mose auf, wenn es um die Aussetzung des Mose im Nil durch seine Mutter geht. Seine Schwester Mirjam folgt dem Bastkörbchen und sieht wie die Tochter des Pharao das Kind findet. Sie läuft daraufhin zur Tochter des Pharao und schlägt ihr vor, dass sie eine Hebräerin (ihre und Moses Mutter) holen würde um das drei Monate alte Baby zu stillen. Diesem Vorschlag stimmt die Pharaonentochter zu. Die entsprechende Stelle lautet:

7 Da sagte seine [= Moses] Schwester zur Tochter des Pharao: Soll ich zu den Hebräerinnen gehen und dir eine Amme rufen, damit sie dir das Kind stillt? 8 Die Tochter des Pharao antwortete ihr: Ja, geh! Das Mädchen [Almah] ging und rief die Mutter des Knaben herbei.

Das geschilderte Verhalten von Mirjam und auch die Tatsache, dass sie Moses Schwester ist, lässt ziemlich sicher darauf schließen, dass man es hier nicht mit einer erwachsenen Frau, sondern mit einem jungen Mädchen zu tun hat, welches dementsprechend auch noch Jungfrau ist. Also beschreibt Almah in diesem Kontext ein jungfräuliches Mädchen.

Psalm 68
Eine dritte Verwendung von Almah gibt es im Psalm 68. In dessen Verlauf wird wird eine Prozession zu Ehren des Einzugs Gottes beschrieben und festgelegt wie sich dieser Prozessionszug aufstellen soll.

25 Gott, sie sahen deinen Einzug, den Einzug meines Gottes und Königs ins Heiligtum: 26 voraus die Sänger, die Saitenspieler danach, dazwischen Mädchen [Almah] mit kleinen Pauken. 27 Versammelt euch und preist unsern Gott, den Herrn in der Gemeinde Israels: 28 voran der kleine Stamm Benjamin, im Zug die Fürsten von Juda, die Fürsten von Sebulon, die Fürsten von Naftali.

Da diese Prozession ins Heiligtum führt und stets Gottes Heiligkeit und Größe betont wird, lässt sich annehmen, dass für eine derartige Zeremonie Jungfrauen ausgewählt wurden, da man diese für reiner hielt. Diese Ansicht finden wir auch noch im Mittelalter. So wird auch der Heilige Gral, also ein irdisches Sinnbild für Gott, in Wolfram von Eschenbachs Ritter-Epos Parzival mit einer aufwändigen Prozession in den Saal geleitet. Auch hierbei wohnten dem Zug 24 Jungfrauen bei und auch die Gralsträgerin selbst, Repanse de Schoye, ist eine Jungfrau.

Hohelied 6
Im achten Vers des sechsten Kapitels heißt es:

8 Sechzig Königinnen (hat Salomo), achtzig Nebenfrauen und Mädchen [Almah] ohne Zahl.

Hier wird unterschieden zwischen Königinnen, Nebenfrauen und Mädchen. Königinnen waren seine „offiziellen“ Ehefrauen. Mit den Nebenfrauen führte Salomo ein eheähnliches Verhältnis. Den Mädchen kamen vor allem zwei Aufgaben zu: Zum einen waren sie Dienerinnen/Mägde der Königinnen und zum anderen war es stets möglich, dass sich Salomo aus ihnen eine weitere Ehefrau auswählen würde. Vor allem letzteres weist stark darauf hin, dass diese Mädchen daher jungfräulich gewesen sein müssen. Welchen Wert man auf die Reinheit der Königskandidatinnen legte, lässt sich aus dem zweiten Kapitel des Buches Esther ersehen.

2 Da sagten die Pagen des Königs: Man sollte für den König schöne junge Mädchen suchen. 3 Der König soll in jeder Provinz seines Reiches Männer beauftragen, alle schönen jungen Mädchen in den Frauenpalast auf der Burg Susa zu bringen und dem königlichen Kämmerer Hegai, dem Aufseher der Frauen, zu übergeben. Dort sollen sie der nötigen Schönheitspflege unterzogen werden. 4 Und das Mädchen, das dem König gefällt, soll anstelle Waschtis Königin werden. (…) 8 Als der Befehl und Erlass des Königs bekannt wurde, brachte man viele Mädchen zur Burg Susa und gab sie in die Obhut Hegais. Auch Ester wurde in den Königspalast geholt und Hegai, dem Aufseher der Frauen, übergeben. 9 Das Mädchen fand sein Gefallen und seine Gunst. Er war sehr darauf bedacht, dass sie die nötige Pflege und die richtige Kost erhielt; (…) 12 Der Reihe nach wurden alle Mädchen zu König Artaxerxes geholt. Zuvor waren sie, wie es für die Frauen Vorschrift war, zwölf Monate lang gepflegt worden; denn so lange dauerte ihre Schönheitspflege: sechs Monate Myrrhenöl und sechs Monate Balsam und andere Schönheitsmittel der Frauen.

Bevor die Mädchen eines nach dem anderen zum König gehen durften, wurde ihnen eine zeremonielle Reinigung mit der Dauer von 12 Monaten zu Teil. Daher kann sicher angenommen werden, dass es sich bei ihnen aus Gründen der Reinheit um Jungfrauen gehandelt haben muss. Somit waren auch die Mädchen des Salomo junge Jungfrauen.

Sprüche 30,18-20 und Hohelied 1,3
Eine weitere Stelle des ATs in der das Wort Almah vorkommt ist Sprüche 30,19:

18 Drei Dinge sind mir unbegreiflich, vier vermag ich nicht zu fassen: 19 den Weg des Adlers am Himmel, den Weg der Schlange über den Felsen, den Weg des Schiffes auf hoher See, den Weg des Mannes bei der jungen Frau. 20 So benimmt sich die ehebrecherische Frau: Sie isst, wischt sich den Mund und sagt: Ich habe nichts Böses getan.

In den Versen 18 und 19 wird mit einem Gegensatzpaar gearbeitet: Die ehebrescherichen Frauen als Symbol für das Schlechte auf der einen Seite und auf der anderen Seite die jungen Frauen als Repräsentantinnen des Guten. Dieser Kontrast verstärkt sich dadurch, wenn man annimmt, dass es sich um Jungfrauen handelt. Der Schluss Almah auch hier mit Jungfrau zu übersetzen liegt daher zumindest nahe.

Ein sechstes mal findet man Almah im ersten Kapitel des Hoheliedes:

2 Mit Küssen seines Mundes bedecke er mich. Süßer als Wein ist deine Liebe. 3 Köstlich ist der Duft deiner Salben, dein Name hingegossenes Salböl; darum lieben dich die Mädchen [Almah]. 4 Zieh mich her hinter dir! Lass uns eilen! Der König führt mich in seine Gemächer. Jauchzen lasst uns, deiner uns freuen, deine Liebe höher rühmen als Wein. Dich liebt man zu Recht.

Hier lässt sich ähnlich argumentieren wie beim Hohelied 6,8. Die Reinheit der Frauen, die mit dem König in Berührung kommen, wird sehr groß geschrieben. Es würde daher kaum Sinn ergeben Frauen, die für ihn nicht in Frage kommen, wie bereits verheiratete, überhaupt zu erwähnen. Anders schaut es dagegen bei in Salomo verliebte Jungfrauen aus, die auch potentielle Königinnen darstellen.

Almah die Jungfrau?
Nach Betrachtung der obigen sechs Bibelstellen bleibt als Zwischenfazit festzuhalten, dass Almah in einigen Fällen (Genesis 24, Hohelied 6) definitiv eine Jungfrau beschreibt. Bei weiteren Stellen (Exodus 2, Psalm 68, Hohelied 1,3) ist die Übersetzung mit Jungfrau im Gesamtkontext der Passagen die wahrscheinlichere und sinnigere. Und auch in Sprüche 30,19 lässt sich Almah plausibel mit Jungfrau übersetzen. In allen Fällen ist von jungen Frauen oder Mädchen die Rede, deren junges Alter durch die Bezeichnung als Almah besonders hervorgehoben wird. Sicher ist, dass man bei keiner der sechs Stellen gezwungen ist Almah mit junge Frau (die keine Jungfrau mehr ist) zu übersetzen.

Jesaja 7
Nun soll also die Bibelstelle betrachtet werden, um die sich dieser ganze Artikel dreht und der Frage nachgegangen werden ob Jesaja von einer Jungfrauengeburt spricht oder nicht. Die Situation ist die folgende:
Ahas, der König von Juda, wird in Jerusalem, von Rezin dem König von Aram und Pekach dem König von Israel angegriffen, so dass er und das ganze Volk in Panik geraten. Jesaja wird von Gott beauftragt Ahas zu beruhigen und ihm zu versichern, dass Jerusalem nicht fallen wir und Ahas den Thron nicht verlieren wird. So werden zu Ahas folgende Worte gesprochen:

11 Erbitte dir vom Herrn, deinem Gott, ein Zeichen, sei es von unten, aus der Unterwelt, oder von oben, aus der Höhe. 12 Ahas antwortete: Ich will um nichts bitten und den Herrn nicht auf die Probe stellen. 13 Da sagte Jesaja: Hört her, ihr vom Haus David! Genügt es euch nicht, Menschen zu belästigen? Müßt ihr auch noch meinen Gott belästigen? 14 Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau [Almah] wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben.

Vers 14 stellt die eigentliche Angriffsfläche der Kritiker dar, da laut ihrer Meinung die Stelle lauten müsste:

Seht, die junge Frau wird ein Kind empfangen

Doch hält diese Interpretation dem Kontext von Jesaja 7 stand? Wie oben dargelegt, lässt sich Almah bei all seinen Vorkommen am besten mit Jungfrau übersetzen. Dem stimmt auch Henry Morris zu, wenn er schreibt:

„Das hebräische Wort für ‚Jungfrau‘, das hier gebraucht wird, erscheint sonst nur sechs mal in der Bibel (…) [es] stimmt seinem Gebrauch nach immer mit dem Begriff ‚Jungfrau‘ überein, und in einigen Fällen ist nur diese Deutung möglich.

(Henry Morris, „The Bible has the Answer“)

Vergleichbar äußert sich Willis J. Beecher:

Das hebräische Lexikon sagt uns, dass das Wort almah (…) eine junge Frau bezeichnen kann, ob sie nun Jungfrau ist oder nicht. Soweit es um etymologische Ableitungen geht, ist das zweifellos der Fall. Doch im biblischen Gebrauch bezeichnet es in jedem Fall (…) eine Jungfrau.
(Willis J. Beecher, „The Prophecy of the Virgin Mother“, S.179)

Hier stellt sich dann die Frage, warum gerade Jesaja 7 von dieser Regel abweichen sollte. Aber unabhängig davon kann auch hier der Kontext helfen, Aussagen darüber zu treffen, wie Almah am besten zu übesetzen ist. Ahas und das ganze Volk befinden sich in tiefer Bedrängnis und Angst, welche Gott versucht durch Jesaja zu lindern. Er bietet ein Zeichen an, sei es von unten, aus der Unterwelt, oder von oben, aus der Höhe. Es geht also um ein außergewöhnliches Ereignis zur Demonstration der Macht Gottes, die es verhindern soll, dass Ahas diesen Krieg verliert. Auch gilt diese Prophezeiung nicht nur Ahas sondern dem ganzen Volk, da im Plural gesprochen wird:

Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben (…)

Sprich hier wird etwas Besonderes verheißen, das großen Einfluss haben wird, etwas Übernatürliches, ein Wunder. Die Geburt eines Sohnes durch eine Jungfrau wäre etwas derartiges, die Geburt durch eine junge Frau dagegen nicht. Daher ist es nur allzu verständlich, dass die Übersetzer, die an der Septuaginta gearbeitet haben, aus Almah eine Parthenos gemacht haben. Das Argument, dass man es mit Jungfrau übersetzt um die Stelle im Nachhinein an das Leben Jesus anzupassen scheitert daran, dass die Septuaginta 200 – 250 Jahre vor der Geburt von Jesus fertiggestellt wurde.

Immanuel oder Jesus
Ein letzter Punkt, den Bibelkritiker nicht müde werden zu betonen ist, dass diese Prophezeiung nicht auf Jesus bezogen werden kann, da dieser nie Immanuel genannt wurde. Darauf kann man antworten: Wort-wörtlich betrachtet mag das sein. Jesus wurde nie mit „Immanuel“ angeredet. Doch ist deshalb Jesus nicht der angekündigte Immanuel? Hierzu muss folgendes beachtet werden: „Immanuel“ ist eine lateinisch-griechische Form und stammt vom hebräischen „Imanu’el“, was so viel bedeutet wie „Gott ist mit uns“, „Gott steht uns bei“, „Gott hilft uns“. Das gleiche kann man mit dem Namen von Marias Sohn durchführen: Jesus ist die latinisierte Form des hebräischen Names „Jeschua“, welcher bedeutet: „Gott hilft“ oder „Gott rettet“. Jesaja 7:14 wird somit nach all dem oben Gesagten zu:

Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen seiner Macht geben: Seht, die unberührte, junge Frau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären und sie wird ihm einen Namen geben der bedeutet: „Gott hilft (uns)“.

Immanuel ist also kein Dikat des Vornames, den das prophezeite Kind tragen muss, sondern ein Titel, bzw. eine Beschreibung dessen, was dieses Kind in seinem Leben bewirken wird: Gottes Hilfe bringen. Vergleichbar verhält es sich mit Jesaja 9,6

5 Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter; man nennt ihn: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens.

oder Jeremia 23

5 Seht, es kommen Tage – Spruch des Herrn -, da werde ich für David einen gerechten Spross erwecken. Er wird als König herrschen und weise handeln, für Recht und Gerechtigkeit wird er sorgen im Land. 6 In seinen Tagen wird Juda gerettet werden, Israel kann in Sicherheit wohnen. Man wird ihm den Namen geben: Der Herr ist unsere Gerechtigkeit.

Beidesmal geht es nicht um Vornamen, sondern um Beschreibungen von Jesu Leben und Wirken. Es ist wohl einsichtig, dass dies nicht zu bedeuten hatte, dass Josef und Maria ihr Kind auf den Namen „Der Herr ist unsere Gerechtigkeit“ hätten taufen müssen, damit sich die Prophezeiung erfüllt. Auch im Neuen Testament finden sich, wie in Lukas 1, derartige Beispiele:

32 Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben.

All dies passt zu Jesus und Maria, wie sie in den Evangelien beschrieben werden, weshalb in Jesaja 7:14 durchaus eine erfüllte Prophezeiung zu sehen ist.

Fazit
Abschließend bleibt zu sagen, dass es sicher nicht als unanfechtbar gelten kann, wenn behauptet wird, dass bei Jesaja Almah mit junge Frau übersetzt werden muss und somit nie von einer Jungfrau gesprochen worden sei. Sicherlich lassen sich sowohl für die eine als auch für die andere Seite Argumente anführen, denn auch die Übersetzung mit Jungfrau wird sich wohl nie endgültig beweisen lassen. Sie scheint dem Autor dieses Textes aber die wahrscheinlichere Variante zu sein. Um aber zu dem in der Einleitung erwähnten Video zurückzukommen: So überzeugt man sicherlich niemanden von seiner Position. Stattdessen sollte wie überall versucht werden eine sachliche Diskussion zu führen.

Wie man „erfolgreich“ Widersprüche sucht

Beim Stöbern auf einer bibelkritischen Seite bin ich mal wieder auf ein schönes Beispiel gestoßen, wie mit allen Mitteln versucht wird Widersprüche in der Bibel zu suchen. Der Text soll Irrtümer herausstellen, welchen Jesus unterlegen sein soll. Irgendwo in der Auflistung findet sich dann folgendes:

Nach Jesus‘ Auferstehung soll er zunächst von Kephas und dann von den zwölf Jüngern gesehen worden sein (Kor. 15,4). Das kann aber nicht sein. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Judas nämlich bereits erhängt und der „Ersatzjünger“, ein gewisser Matthias (Apo 1,23), war noch nicht gewählt worden.

Das erste Auffällige: Wo soll hier ein Irrtum von Jesus zu finden sein? Er hat weder vor seinem Tod gesagt, wem er nach der Auferstehung erscheinen werde, noch irgendwo eine vollständige Zusammenfassung gegeben, wer den Auferstandenen gesehen hat.

Zweite Auffälligkeit: Der angegebenen Bibelstelle aus dem Korintherbrief lautet:

4 und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift

also keine Angabe, wem Jesus erschienen war. Außerdem müsste die Stelle korrekterweise 1. Kor 15,4, weil es zwei Korintherbriefe gibt.
Der Vers auf den wohl angespielt wird ist der fünfte des 15. Kapitels:

5 und erschien dem Kephas, dann den Zwölf

Das angebliche Problem besteht darin, dass zu diesem Zeitpunkt nur noch elf der ehemaligen zwölf am Leben gewesen sind. Heißt das also Paulus hat hier geirrt, wenn er dies schreibt (wenn es ja Jesus schon nicht gewesen sein kann?). Nein sicher nicht. So weit konnte Paulus auch denken. Die Zwölf war ein feststehender Begriff für die Gruppe von Männern die Jesus am nächsten standen und eben meist aus zwölf Jüngern bestand, wodurch der Begriff geprägt wurde. Dies ist ungefähr vergleichbar damit, dass bei einer Fußballmannschaft immer von elf Freunden gesprochen wird, auch wenn keine Mannschaft mit nur elf Personen zu einem Spiel reisen würde.
Im Kontext des ersten Korintherbriefes von einem „Irrtum“ zu sprechen ist nichts weiteres als Haarspalterei bzw. Kreieren eines nicht vorhandenen Widerspruchs.

Biblisches Cherry picking für Anfänger

Beim Lesen einiger Diskussionen zwischen Christen und Nichtchristen, sowie eigenen Erfahrungen aus Diskussionen mit Religionsgegnern bin ich des öfteren auf folgendes Zitat aus der Bibel gestoßen:

Wenn aber die Wahrheit Gottes sich durch meine Unwahrheit als noch größer erweist und so Gott verherrlicht wird, warum werde ich dann als Sünder gerichtet?
(Römer 3,7 / Einheitsübersetzung)

Oft wird es mit dem Hinweis der Christentumskritiker gebracht, dass die Bibel hiermit Christen das Lügen erlauben würde, bzw. in etwas abgeschwächter Form, dass Lügen dann erlaubt ist, wenn man damit Gott verkündigt. Ein Beispiel aus dem Internet ist ein Artikel auf der Seite www.bibelkritik.ch, wo zu lesen ist:

Warum hätten ihre Schreiber nicht hinzufügen, streichen oder verbessern sollen? Der emsig missionierende Paulus selbst gab unverhohlen zu (Röm 3,7): „Wenn aber die Wahrheit Gottes durch meine Lüge herrlicher wird zu seiner Ehre, warum sollte ich dann noch als ein Sünder gerichtet werden?“ Die Schriften sollten mitreißen und überzeugen, mehr nicht.

Dass dies weit gefehlt ist soll gleich noch gezeigt werden. An diesem Zitat sollen aber vor allem zwei Prinzipien verdeutlicht werden, welche beim Studium der Bibel unumgänglich sind, aber von Kritikern schon mal ignoriert werden.

1. Ein Zitat nie aus dem Kontext reißen
Der Kommentar ist mit dem Wort „Cherry picking“ überschrieben. Die deutsche Entsprechung dafür wäre „Rosinen herauspicken“. Für das Thema Bibelauslegung ist hierbei folgendes gemeint: Jemand hat eine These und versucht sie mit der Bibel zu beweisen. Dazu reißt er ein Zitat aus dem Zusammenhang, so dass sich dessen Aussage ins Gegenteil verkehrt und bietet es zur Untermauerung seiner These an. Hiermit hat er dann schon all diejenigen überzeugt, welche sich nicht die Mühe machen das entsprechende Kapitel in der Bibel zu betrachten. Ein sehr simples Beispiel hierfür wäre folgendes:

Jemand möchte zeigen, dass man mit der Bibel beweisen kann, dass es keinen Gott gibt und begibt sich auf die Suche. Er wird auch bald einen passenden Satz finden. So heißt es in Psalm 14,1 wort-wörtlich:

Es gibt keinen Gott.
(Ps 14,1 / Einheitsübersetzung)

Also sagt die Bibel, dass es keinen Gott gibt, oder? Schaut man sich nur allerdings den Kontext des Zitates an,

1 [Für den Chormeister. Von David.] Die Toren sagen in ihrem Herzen: «Es gibt keinen Gott.» Sie handeln verwerflich und schnöde; da ist keiner, der Gutes tut. 2 Der Herr blickt vom Himmel herab auf die Menschen, ob noch ein Verständiger da ist, der Gott sucht.
(Ps 14,1-3 / Einheitsübersetzung)

so verkehrt sich diese Aussage plötzlich in ihr Gegenteil.
Sicherlich ist dieses Beispiel sehr simpel gewählt, aber es veranschaulicht das Grundvorgehen, so dass man das Prinzip nun auch auf Römer 3,7 anwenden kann:

5 Wenn aber unsere Ungerechtigkeit die Gerechtigkeit Gottes bestätigt, was sagen wir dann? Ist Gott – ich frage sehr menschlich – nicht ungerecht, wenn er seinen Zorn walten lässt? 6 Keineswegs! Denn wie könnte Gott die Welt sonst richten? 7 Wenn aber die Wahrheit Gottes sich durch meine Unwahrheit als noch größer erweist und so Gott verherrlicht wird, warum werde ich dann als Sünder gerichtet? 8 Gilt am Ende das, womit man uns verleumdet und was einige uns in den Mund legen: Lasst uns Böses tun, damit Gutes entsteht? Diese Leute werden mit Recht verurteilt.
(Römer 3,5-8 / Einheitsübersetzung)

Paulus sagt also genau das Gegenteil von dem aus, was ihm die Kritiker in den Mund legen. Es gibt keine Rechtfertigung für Lügen, auch dann nicht, wenn sie Gott vielleicht sogar dienlich wären. Paulus spricht hier vom Schicksal derer, die ihm derartiges nachsagen, nämlich die Verurteilung durch Gott und gibt keineswegs einen Freibrief zum Lügen.

2. Den Biblischen Gesamtzusammenhang im Auge behalten
Nicht immer erbringt das Lesen des kompletten Abschnittes aus dem ein Zitat genommen ist eine eindeutige Lösung für das Problem. Gehen wir daher davon aus, dass der Kontext von Römer 3,7 nicht derart eindeutig wäre, sondern vielleicht doch noch ein Schlupfloch für die Interpretation „Paulus erlaubt Lügen“ lassen würde. Hätte man dann eine Chance vernünftig zu entscheiden, ob nun Lügen für Gott erlaubt ist oder nicht? Ja, nämlich dann, wenn man sich die anderen Stellen im Neuen Testament bzw. in der Bibel ansieht, welche sich mit dem Thema Lügen beschäftigen. Vorranging natürlich solche Stellen, die von Paulus selbst stammen, denn derartige gibt es. So streitet er erstens ab selbst zu lügen

Gott, der Vater Jesu, des Herrn, er, der gepriesen ist in Ewigkeit, weiß, dass ich nicht lüge.
(2Kor 11,31 / Einheitsübersetzung)

und stellt zweitens die Lüge auf eine Stufe mit einigen anderen Vergehen:

Unzüchtige, Knabenschänder, Menschenhändler, für Leute, die lügen und Meineide schwören und all das tun, was gegen die gesunde Lehre verstößt.
(1Tim 1,10 / Einheitsübersetzung)

Auch lässt sich keine weitere Aussage von Paulus finden, welche die These stützen würde, er erlaube Christen in bestimmten Fällen zu lügen.

Fazit
Nach Anwendung der beiden beschriebenen Prinzipien kann die Behauptung sicher zurückgewiesen werden, dass sich aus Römer 3,7 herauslesen lasse, dass Christen in bestimmten Situationen die Unwahrheit sagen können. Es handelt sich schlicht und einfach um ein Zitat, welches aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Schade, dass dies immer wieder passiert.

Ungerechter Umgang mit Dawkins?

In der Süddeutschen Zeitung erschien am 11. September ein Beitrag mit dem Titel Der „liebe Gott“ als blutrünstiges Ungeheuer, verfasst von Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Graf von der Abteilung Systematische Theologie der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Darin geht er kritisch auf die religionskritischen Argumente von Richard Dawkins und Christopher Hitchens ein.
Der Atheistin und Biologin Sabine Schu ist dieser Beitrag natürlich ein Dorn im Auge, so dass sie ihn auf ihrem Blog sofort als Ad hominem herabwürdigt. Argumente für diese Bezeichnung bringt sie allerdings nicht, sondern verweist lediglich auf einen kurzen Kommentar der Webseite skepticker.org. Dieses Vorgehen erinnerte mich sofort an viele Beiträge von Martin Neukamm, auf dessen Hit-Liste der „am meisten verwendeten Wörtern“ Ad hominem relativ weit oben steht, aber das nur nebenbei.
Wie sieht es aber mit dem Gehalt des Skeptikerbeitrages aus? Im Vergleich zum Beitrag von Prof. Dr. Graf fällt schon beim ersten Blick auf, dass ersterer deutlich kürzer ist, aber das soll kein Ausschlusskritikerium sein. Frau Schu schreibt auch selbst, dass man sich nur die Rosinen herausgepickt habe.

Kapitel 1: Betreibt Graf Diffarmierung?
Das erste Zitat das vom SekptTicker moniert wird ist das folgende:

Richard Dawkins und Christopher Hitchens – ein biologistischer Hassprediger und ein liberaler Skeptiker greifen in ihren Büchern die Religion an.

was zum einen wie folgt kommentiert wird:

Das Attribut ‘biologistisch’ ist schon deutlich negativ konnotiert. Der durchschnittliche Leser soll hier wohl eine Nähe der Autoren zu sozialdarwinistischen Ansätze assoziieren.

Wie der anonyme Autor mit dem Nicknamen sehwolf zu dieser Aussage kommt, wird leider nicht weiter belegt. Fakt ist, dass biologistisch (bzw das dazugehörige Substantiv Biologismus) vom Ursprung her keineswegs negativ belegt ist. Es bezeichnet die philosophische Denkrichtung, dass alles seinen Ursprung im Organischen hat. Also auch das menschliche Verhalten, sein Denken und sein „Geist“ sind das Resultat biologischer Gesetze und Bedürfnisse. Könnte man das Weltbild eines Richard Dawkins besser beschreiben? Wohl kaum! Dass der Begriff einen negativen Beigeschmack hat, weil aus dem Biologismus ein Sozialdarwinismus abgeleitet wurde, kann man Herr Graf nicht zur Last legen. Also halten wir fest: Das Adjektiv biologistisch trifft auf Dawkins durchaus zu und hat mit Diffamierung nichts zu tun.

Das erste Zitat von Graf wird allerdings noch weiter kritisiert:

Weit schlimmer wiegt natürlich die Klassifikation als Hassprediger. Hassprediger, wie man hier nachlesen kann, sind Personen (…)

Wieso breche ich das Zitat ab? Weil der Rest des „Argumentes“ dadurch hinfällig wird, dass das „hier“, wo man die Definition nachlesen kann kein objektives Lexikon oder Wörterbuch ist, sondern ein Wiki, dass anscheinend vom Autor sehwolf selbst betrieben wird. Wie jeder Student (oder auch schon Schüler) lernt, ist ein Wikipedia-Eintrag nie eine zulässige Quelle um eine Aussage zu belegen. Wenn man dann noch sein eigenes Wiki zitiert bzw. zumindest eines, dass eine gewisse weltanschauliche Voreingenommenheit besitzt (in diesem Fall atheistisch), wird es allerdings noch absurder seine Aussagen mit derartigen Wiki-Beiträgen belegen zu wollen. Von daher besitzen die Aussagen von sehwolf:

Sicher, weder Hitchens noch Dawkins sind zimperlich, Hasspredigten noch sonstwie den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllende Äußerungen finden sich jedoch an keiner einzigen Stelle in ihren Büchern.

keine Überzeugungskraft. Außerdem wird nur Dawkins als Hasspredigier tituliert, so dass ein „Unschuldhinweis“ auf Hitchens hier nur zusätzlich falsche Eindrücke erweckt.

Kapitel 2: Streit um den Titel
„Kapitel 1“ ist somit abgehakt und bisher konnte sich Frau Schus Titulierung als Ad hominem bzw. die von sehwolf als Diffarmierung nicht bestätigen. Somit zum nächsten Abschnitt, bei dem sehwolf den Titel von Dawkins Buch unter die Lupe nimmt. Zunächst zitiert er dazu Graf:

In der britischen Debatte hatten mehrere prominente Seelenwissenschaftler darauf hingewiesen, dass “Wahn” ein psychiatrisch klar definierter Begriff ist und die pauschale Rede vom “Gotteswahn” nur wenig erklärt. Dawkins’ Botschaft lautet: Halte ein einzelner seine Einbildungen für objektiv wahr, diagnostiziere man Geisteskrankheit; teilten Kollektive den verrückten Glauben an übernatürliche Mächte, nenne man die Wahnvorstellung Religion.

ohne dies zu kommentieren setzt sehwolf ein von ihm übersetztes Zitat aus Dawkins Buch darunter:

Das Wörterbuch von Microsoft Word definiert Wahn als ‘das Festhalten an falschen Vorstellungen, trotz gegenteiliger Beweise, insbesondere als Symptom einer psychischen Störung’. Der erste Teil trifft Religon perfekt. Bei der Frage ob es das Symptom einer psychischen Störung ist, bin ich geneigt mich an Robert M. Pirsig zu halten, Autor von ‘Zen and the Art of Motorcycle Maintanance’ wenn er sagt: “Leidet eine Person an einem Wahn nennen wir es verrückt. Leiden viele an einem Wahn so nennen wir es Religion.”

Der Sinn hiervon leuchtet mir allerdings nicht ein. Wenn mir das jemand erklären kann, bitte bei mir melden. Ob jetzt das Microsoft Word Wörterbuch als verlässliche Quelle dienen kann, sei mal dahin gestellt. Auch liefert sehwulf mit diesem Zitat einen weiteren Beleg (neben denen die der Theologie selbst bring) für Prof. Grafs Aussage:

Solch krude Analogien verführen Dawkins dazu, selbst mit seinen ärgsten Feinden, den Kreationisten, gemeinsame Sache zu machen. Gegen all jene Religionsanalytiker, die religiöse Symbolproduktion und wissenschaftliche Theoriebildung strikt unterscheiden und deshalb die Fehden zwischen Schöpfungsgläubigen und Neodarwinisten für sachlich gegenstandslos halten, weiß er sich mit den Kreationisten darin eins, dass Glaube und Wissen denselben Deutungsanspruch erheben.

Denn wie sonst könnte man Beweise gegen den Glauben und Gott finden?
Ansonsten bestätigt doch das Zitat nur genau das was Graf über Dawkins Einsichten behauptet hat, bzw. dass er hier richtig zitiert hat. Von Diffarmierung keine Spur.

Kapitel 3: Sind das jetzt die Rosinen??
Nun folgt im SkepTicker-Artikel nur noch ein bruchstückhaftes Zitieren aus Prof. Dr. Grafs Beitrag:

Sein […] langweiliger Text […] In den eitlen Posen des alldeutenden Großaufklärers erinnert er […] prahlt mit seiner philosophischen Unbildung […] bietet er in ermüdenden Wiederholungen nur wenig Originelles […]

Herr Graf begründet diese Wertungen auf den drei Seiten seines Artikels. Dass Dawkins zu Wiederholungen tendiert ist auch nicht allein die Ansicht von Graf. Man lese Dawkins „Gotteswahn“ (oder auch andere seiner Bücher) oder wer nicht so viel Zeit/Geld hat überlfiege mal einige kritische Rezensionen des Buches. Die philosophische Unbildung wird von Graf auf Seite 2 übrigens ebenfalls erläutert:

Auch in der Kritik der alteuropäisch metaphysischen Gottesbeweise bleibt Dawkins weit unter dem Reflexionsniveau Humes oder Kants, die er dank mangelnder Quellenkenntnis für knallharte Atheisten hält.

So weit hat sehwolf vielleicht nicht gelesen, denn alle seiner Zitate stammen von Seite 1.

Kapitel 4: Zugeständnisse
In zwei Punkten muss ich sehwulf allerdings teilweise zustimmen. Zum einen wenn er das Zitat von Graf herausgreift:

Dies mag auch damit zusammenhängen, dass Dawkins’ Glaubenskritik von antijüdischen Begleittönen nicht frei ist.

und moniert, dass diese Aussage nicht begründet wird. Zu einer derartigen Behauptung gehören auch meiner Meinung nach Textbelege.

Das gleiche gilt für folgende Sätze von Graf:

Aber sind Atheisten immer “glücklich, ausgeglichen, geistig ausgefüllt” und “moralisch edel”?
[…]
Selbst die Vernichtungsexzesse in den totalitären Volksgemeinschaftslaboratorien des letzten Jahrhunderts schreibt Dawkins aufs Schuldkonto der Religion.

Auch hier fehlen eindeutig Zitate. welche dies unterstützen. Letzterer Aussage kann ich zwar prinzipiell zustimmen, allerdings muss ich heute Abend selbst auf die Suche nach der entsprechenden Textstelle begegeben.

Fazit
Prof. Dr. Grafs Beitrag hat eine Herabwürdigung als ad hominem sicher nicht verdient. Zugestehen muss ich seinen Kritikern allerdings, dass er nicht an allen Stellen wirklich methodisch sauber ist. Zu jeder Behauptung gehört eigentlich eine Quelle, was im vorliegenden Text leider nicht immer der Fall ist.