Einleitung
Im Abschnitt „Kamele: Erfundene >>Historie<<" werden im Lexikon der biblischen Irrtümer drei Behauptungen aufgestellt, mit deren Hilfe die Historizität der Erzählung um Josef (Gen. 37 – 50) in Frage gestellt wird. Alle Kritikpunkte betreffen so genannte Anachronismen. Unter einem Anachronismus versteht man eine zeitliche Unmöglichkeit. Zum Beispiel die Nutzung von Kanonen in Shakespeares Dramen über Römer, da es Kanonen zur Römerzeit nicht gab. (vgl. [2], S.40). Sämtliche Behauptungen finden sich auch in einem Artikel im Internet [6]. Der nachfolgende Beitrag soll diese Argumente auf ihre Stichhaltigkeit prüfen.
Es gab keine Kamele zur Zeit Josefs
Im Lexikon ist zu lesen, dass die Tatsache der Erwähnung von Kamelen eindeutig zeige, dass die Geschichte um Josef falsch sei, da diese erst nach 1000 v.Chr. in der Region verbreitet gewesen seien (S.79). Dazu beruft sich der Autor auf Israel Finkelstein:
Man betrachte zum Beispiel die wiederholte Erwähnung von Kamelen. (…) aber in der Geschichte von Josephs Verkauf in die Sklaverei durch seine Brüder (Gen. 37,25) werden Kamele als Lasttiere beschrieben, die man im Karawanenhandel verwendet. Dank archäologischer Forschung weiß man inzwischen, daß Kamele nicht vor dem ausgehenden 2. Jahrtausend gezähmt und im alten Voderen Orient erst weit nach 1000 v. Chr. allgemein als Lasttiere genutzt wurden ([1], S. 49, Hervorhebung nicht im Orginal).
In wie weit ist diese Behauptung zutreffend? Weiß man es wirklich ganz sicher? Tatsache ist, dass man seit dem Auftauchen dieses Arguments einige Entdeckungen gemacht hat, welche eine Alternative Sicht der Dinge durchaus zulassen. So listet Roland de Vaux in [3] etliche Indizien auf, welche darauf hindeuten, dass die Geschichte der Haltung von Kamelen sich von dem Bild unterscheiden könnte, dass Kamele erst ab dem Jahr 1000 gezähmt und gehalten wurden. Dazu zählen z.B. ein aus Kamelhaaren geflochtenes Seil aus der Epoche der dritten Dynastie in Ägypten ([3], S. 59) oder Knochen/Zähne von Kamelen in Gräbern der mittleren/früheren Bronzezeit in Syrien-Palästina ([3], S. 59).
Diese Funde bringen ihn am Ende seiner Ausführungen zu folgender Schlussfolgerung:
Diese Tatsachen führen zu einer abgestuften Schlußfolgerung: Das Kamel war zu Anfang der Geschichte in Mesopotamien und in Ägypten bekannt, dann scheint es fast vollständig verschwunden zu sein, und man beginnt erst wieder in Mesopotamien, Syrien und Palästina am Ende des 2. Jahrtausends von ihm zu sprechen (…) Zweifelsfrei ist es möglich, daß gewisse Erwähnungen in der Geschichte der Patriarchen redaktionelle Überarbeitungen sind, die eine Epoche widerspiegeln, in der dieses Tier mehr benutzt wurde (…) Unsere Belege, wie dünn sie auch gesät sind, erlauben anzunehmen, daß Abraham und Jakob Kamele besessen haben (…) ([3], S59f).
Auch der Ägyptologe Prof. Kenneth Anderson Kitchen vertritt eine ähnliche Sicht wie de Vaux:
Über lange Zeit hinweg spielte das Kamel im historischen Alten Vorderen Orient (einschließlich Ägypten) nur eine marginale Rolle, war aber nicht völlig unbekannt. Seine Erwähnung vor oder während dieser Zeit von 2000 bis 1100 v. Chr. stellt also keineswegs einen Anachronismus dar. (zitiert nach [2], S.41)
Zuletzt sei noch der Orientalist Dr. Martin Heide zitiert:
Tatsache ist, dass es schon seit einigen Jahren als sicher gilt, dass das Kamel lange vor 1000 v.Chr. im Nahen Osten domestiziert wurde. Viele Funde von Kamelbestattungen aus ältester Zeit sprechen sogar dafür, dass das Kamel möglicherweise schon vor dem 3.Jahrtausend v.Chr. als Lasttier verwendet wurde. ([4])
Zusammenfassend bleibt also zu diesem Abschnitt festzustellen, dass die Aussage, man wüsste sicher, dass Abraham keine Kamele besitzen konnte, wohl hinterfragbar ist. Es gibt durchaus Indizien, die eine Nutzung des Kameles lange vor 1000 v. Chr. nahelegen. Somit irrt die Bibel hier nicht zwangsläufig.
Philister kamen später
Ein weiterer Kritikpunkt des Lexikons an den Patriarchenerzählungen ist folgender:
Josephs Großvater Isaak besuchte laut Bibel den wohlhabenden >>Abimelech, König der Philister<<. Die Philister müssen also in nicht allzu großer Distanz von Isaak gelebt haben. Die Philister aber stammen aus der Ägäis oder dem östlichen Mittelmeer und kamen erst nach 1200 v. Chr. in die kanaanäische Küstenebene. Erst im 11. und 10. Jahrhundert blühten ihre Städte auf. (S.80)
Also anders formuliert: Hier wird ein Volk erwähnt, dass zu diesem Zeitpunkt noch nicht in erreichbarer Nähe zu Isaak gewohnt hat, also kann die Geschichte nicht wahr sein. Doch auch für dieses Problem gibt es durchaus Lösungsansätze. Eine sehr gute Zusammenstellung (auf der hier auch größtenteils aufgebaut wurde) findet sich auf [5]. Zuerst sei die Bibelstelle betrachet, die hier vom Lexikon angesprochen wird:
Im Land brach eine Hungersnot aus, eine andere als die frühere zur Zeit Abrahams. Isaak begab sich nach Gerar zu Abimelech, dem König der Philister. (Gen. 26,1)
Isaak zieht also zum Philisterkönig, weil er sich von ihm Hilfe verspricht. Dieser König bietet ihm sogar besonderen Schutz, obwohl Isaak ihn belogen hatte:
8 Nachdem er längere Zeit dort zugebracht hatte, schaute einmal Abimelech, der König der Philister, durch das Fenster und sah gerade, wie Isaak seine Frau Rebekka liebkoste. 9 Da rief Abimelech Isaak und sagte: Sie ist ja deine Frau. Wie konntest du behaupten, sie sei deine Schwester? Da antwortete ihm Isaak: Ich sagte mir: Ich möchte nicht ihretwegen sterben. 10 Abimelech entgegnete: Was hast du uns da angetan? Beinahe hätte einer der Leute mit deiner Frau geschlafen; dann hättest du über uns Schuld gebracht. 11 Abimelech ordnete für das ganze Volk an: Wer diesen Mann oder seine Frau anrührt, wird mit dem Tod bestraft. 12 Isaak säte in diesem Land und er erntete in diesem Jahr hundertfältig. Der Herr segnete ihn; (Gen. 26,8-12)
Dies steht im Gegensatz zu den Begegnungen von Israeliten und Philistern, von denen in den späteren Büchern der Bibel berichtet wird. Diese sind durchweg kriegerischer Natur und die Philister werden dabei negativ dargestellt. So werden sie unter anderem mehrfach als Strafe Gottes für die Sündhaftigkeit der Israeliten angesehen:
Deshalb entbrannte der Zorn des Herrn über Israel und er lieferte sie der Gewalt der Philister und der Ammoniter aus. (Ri 10,7)
oder
Die Israeliten taten wieder, was dem Herrn missfiel. Deshalb gab sie der Herr vierzig Jahre lang in die Gewalt der Philister. (Ri 13,1)
Die Philister bringen den Israeliten auch einige schwere Niederlagen bei und es gelingt ihnen sogar die Bundeslade, den Heiligsten Besitz der Israeliten zu erbeuten:
10 Da traten die Philister zum Kampf an und Israel wurde besiegt, sodass alle zu ihren Zelten flohen. Es war eine sehr schwere Niederlage. Von Israel fielen dreißigtausend Mann Fußvolk. 11 Die Lade Gottes wurde erbeutet und die beiden Söhne Elis, Hofni und Pinhas, fanden den Tod. (1.Sam 4,10-11)
Es wird also in den Richter-, Samuel- und Königsbüchern ein schlechtes Bild der Philister gezeichnet. Geht man davon aus, dass es sich bei Gen. 26 um einen Anachronismus handelt, muss man eine Erklärung dafür finden, wieso der biblische Autor, der diese Geschichte dann lange nach den Ereignissen aufgeschrieben hätte (weil er ja von den tatsächlichen Begebenheiten keine Ahnung zu haben scheint), über die er berichtet, Isaak gerade bei den Philistern Hilfe suchen lässt. Dies wirft zum ersten mal die Frage auf, ob es sich bei den Philistern aus Gen. 26 wirklich um das selbe Volk handelt, das später in der Bibel geschildert wird. Ein zweiter Unterschied zwischen den beiden Philistervölkern ist ihre Regierungsform. So spricht Gen. 26 von einem König der Philister, wohingegen später von mehreren (wenn quantifiziert. dann fünf) Fürsten der Philister die Rede ist:
Die Fürsten der Philister versammelten sich, um ihrem Gott Dagon ein großes Opfer darzubringen und ein Freudenfest zu feiern. (Ri 16,23)
oder
Darum kehr jetzt um und zieh in Frieden; so wirst du nichts tun, was den Fürsten der Philister missfällt. (1.Sam 29,7)
Dies ist ein zweites Indiz, welches andeutet, dass die Sache etwas komplizierter sein könnte, als lediglich auf einen Anachronismus zu verweisen. Als letzter Unterschied seien noch die Städte, welche die beiden Philistervölker bewohnten, betrachtet. Im Buch Genesis ist lediglich von Gerar die Rede (Gen 26,1 oder Gen 26,8). Später werden andere genannt:
vom Schihor-Fluss östlich von Ägypten bis zum Gebiet von Ekron im Norden – es wird den Kanaanitern zugerechnet -, die fünf Philisterfürsten von Gaza, Aschdod, Aschkelon, Gat und Ekron (…) (Jos 13,3)
Das sind die goldenen Geschwüre, die die Philister dem Herrn als Sühnegabe entrichtet haben: eines für Aschdod, eines für Gaza, eines für Aschkelon, eines für Gat, eines für Ekron (1.Sam 6,17)
Gerar taucht hier dagegen nicht mehr auf. Also ein drittes Indiz, das andeuten könnte, dass hier verschiedene Philister vorliegen. Wie lässt sich dies nun erklären? Hierzu wurden unter anderem drei Vorschläge gemacht (Details und Literaturhinweise auf [5]):
- Ursprünglich stand an der Stelle in Gen. 26 eine andere Bezeichnung für das Volk, bei dem Isaak Zuflucht suchte. Ein späterer Abschreiber ersetzte diese Bezeichnung durch Philister, da diese mittlerweile dort angesiedelt waren.
- Philister war ein allgemeiner Begriff für Völker, die vom Meer her kamen und an der Küste ansiedelten.
- Einige wenige Siedler aus der Ägäis wohnten bereits zur Zeit Isaaks dort und sind daher Philister
Eine eindeutige Klärung des Problems ist hier sicherlich nicht möglich. Dennoch kann die Aussage, dass es sich hier um einen Anachronismus handeln muss, in Frage gestellt werden.
Karawanengüter
Es wird ausgesagt, dass die angeprochenen Handelsgüter Harz, Balsam und Myrrhe erst ab dem 8. Jahrhundert organisiert gehandelt wurden und es daher ein Anachronismus sei, dass die Karawane, die Josef mitnimmt, diese Güter bei sich führte (S. 80). Hierzu ist zu sagen, dass die Tatsache, dass der organisierte Handel erst später erfolgte nicht ausschließt, dass auch zuvor bereits mit diesen Waren gehandelt wurde. Myrrhe selbst wird zum Beispiel bereits 1600 v. Chr. im Ebers Papyrus erwähnt und war somit schon bekannt [7]. Somit ist durchaus zu erwarten, dass auch jemand damit Handel getrieben hat. Sicherlich ist das kein Beweis dafür, dass die in Gen. 26 erwähnte Karawane wirklich mit diesen Gütern ausgestattet war, aber definitiv verneinen, kann man diese Aussage auch nicht.
Ein Zusatz
Eigentlich sollte sich dieser Artikel mit dem Abschnitt aus dem Lexikon der biblischen Irrtümer beschäftigen. Allerdings ist in [6] ebenfalls noch eine Behauptung enthalten, die man so nicht stehen lassen kann. Denn dort heißt es:
Nachfahren Abrahams reisten aus ihrem neuen Land nach Ägypten, um Getreide zu kaufen. Dort bezahlten sie mit Metallgeld (1. Mose 42,25): „Und Josef gab Befehl, ihre Säcke mit Getreide zu füllen und ihnen ihr Geld wiederzugeben.“ Neueste Forschungen belegen aber eindeutig, dass die ältesten Münzen aus Kleinasien stammen und erst im 7. Jahrhundert v. Chr. verwendet wurden. [6]
Denn auch zu dieser Aussage hat Dr. Martin Heide in [4] Stellung bezogen:
Das in 1 Mose 42,25 verwendete hebräische Wort entspricht unserem deutschen Wort für Silber, nur dass es in der Mehrzahl steht. Wörtlich übersetzt heisst es so viel wie “Silberstücke”; meistens wird es mit ”Geld” übersetzt. Würde man die Logik des “Spiegel” weiterverfolgen, dann waren wahrscheinlich auch die Keilschrifttexte aus der antiken Stadt Ugarit des 14. Jahrhunderts v.Chr. in Wirklichkeit erst im 7.Jh.v.Chr. geschrieben, denn in diesen Texten (im Keret-Epos) taucht die dem AT genau vergleichbare Form auf, nämlich ”Silberstücke”. Aber mit Silberstücken ist weder in Ugarit noch im 1.Buch Mose Münzgeld gemeint, sondern Gewichtseinheiten von Silber, die fest definiert waren und als Bezahlungseinheit dienten – sozusagen die Vorstufe unserer Münzen. [4]
Also liegt hier lediglich eine Fehlübersetzung bzw. eine Übersetzungsschwäche vor; in gewissem Sinn auch Haarspalterei der Bibelkritiker, aber kein Fehler in der Bibel.
Schlussfolgerungen
Die Nutzung von Kamelen und Silbereinheiten zur Zeit der Patriarchen stellt keinen Anachronismus dar. Es gibt Hinweise von außerbiblischen Quellen, dass beides in dieser Zeit in Gebrauch war. Die Erwähnung der Philister im Buch Genesis lässt durchaus andere Deutungen zu, als dass es sich hier um einen Irrtum der Bibel handeln muss. Die im Zusammenhang mit Josef beschriebene Karawane hatte laut der Bibel durchaus Güter dabei deren Handel erst später richtig aufblühte. Dass bereits schon damals mit ihnen (gelegentlich) gehandelt wurde ist aber nicht auszuschließen, da sie schon bekannt und in Gebrauch waren.
Quellen:
[1] I. Finkelstein und N. A. Silbermann, „Keine Posaunen vor Jericho“, dtv, 3. Auflage, 2006
[2] M. Schäller, „Abraham hatte kein Kamelproblem“ in Factum 2/09
[3] Roland de Vaux, „Die hebräischen Patriarchen und die modernen Entdeckungen“, St. Benno, 1960
[4] http://www.jesus.ch/index.php/D/article/45/5853/ , (Zugriff 26.05.2009)
[5] http://www.tektonics.org/lp/oldphilistines.html
[6] http://www.bibelkritik.ch/bibelkritik/a4.htm
[7] http://www.bibeloele.de/html/12_ole_der_bibel.html#Myrrhe