Biston Betularia sagt vielleicht nicht jedem etwas. Die deutsche Bezeichnung „Birkenspanner“ hat dagegen wohl jeder schon einmal gehört, der im Biologieunterricht die Evolutionstheorie behandelt hat. Sie waren laut meinem Biobuch ein „Beispiel für Evolution in Aktion“. Kurz und knapp zur Erinnerung: Dieses putzige Tierchen existiert in zwei Formen, einer dunklen (carbonaria) und einer hellen (typica). Sie sollen sich laut Schulbucherklärung an Baumstämmen heller Bäume aufhalten. Die helle Form ist natürlich auf einer hellen Rinde schlechter zu erkennen als eine dunkle, weshalb Fressfeinde die schwarze schneller sehen und verspeisen. Daher ist diese Form seltener. Während der Industrialisierung verdunkelten sich die Baumstämme durch die Luftverschmutzung, was für die helle Form suboptimal war, da ihre Tarnung wegfiel. Dementsprechend mussten sie in dieser Zeit eher damit rechnen von einem Vogelschnabel aufgepickt zu werden, als ihre dunklen Brüder. Nachdem man gemerkt hatte, dass sie Luftverschmutzung vielleicht nicht so gut ist und sie reduziert hat wurden die Bäume wieder heller und die typica-Form dadurch wieder häufiger. So weit so gut. Worum geht es denn jetzt eigentlich genau?
In den vergangenen Jahren wurde von etlichen Wissenschaftlern der Vorwurf erhoben, dass der Biologe Kettlewell bei seiner Beschreibung Selektionsszenarios methodisch unsauber gearbeitet habe. So habe er und einige seiner Nachfolger die Birkenspanner so freigelassen, dass sie sich auf die Baumstämme setzten, obwohl sie normalerweise eher in Baumkronen (oder an unbekannten Orten) zu finden seien oder teilweise habe man einfach für seine Fotos tote Examplare an den Baumstamm geheftet. Sprich es wurde unsauberes wissenschaftliches Arbeiten unterstellt. Dementsprechend wurde auch darüber nachgedacht ob es wirklich der Fall ist, dass die Birkenspanner ihr Dasein am Baumstamm fristen oder sich einen anderen Platz suchen. Natürlich wurde auch von Seiten der Evolutionskritiker auf dieses Thema eingangen. Hauptvorwürfe sind vor allem, dass in der Literatur kaum angemerkt wird, dass Kettlewells Arbeitsmethoden unsauber waren.
Nun kam M. Majerus in seiner Studie zu dem Ergebnis, dass 30% der Birkenspanner tatsächlich auf Baustämmen rasten würden, das Szenario Kettlewells also im Prinzip korrekt ist. Dies ist für Martin Neukamm natürlich ein Grund sofort einen Beitrag zu veröffentlichen und darin zu behaupten:
Die von den Evolutionsgegnern losgetretene Kampagne erwies sich als Sturm im Wasserglas; ihre Schlussfolgerungen erwiesen sich als haltlos und ebenso fragwürdig
Dazu sei festgehalten:
- 1. Nicht nur Evolutionskritiker zweifelten Kettlewells Szenario an. Die Kritik entstammt vor allem aus den Reihen der Evolutionsbiologen.
- 2. Die Studie von Majerus ist evt. nicht das letzte Wort das gesprochen wird und die Situation kann sich dementsprechend auch wieder ändern.
- 3. Der Hauptpunkt der Kritiker (vor allem von Seiten der Kreationisten und ID Theoretiker) ist eben nicht vom Tisch, sondern besteht nach wie vor: Kettlewell hat unsauber gearbeitet, doch das weiß kaum einer der das Spannerszenario kennt.
Dementsprechend sind Majerus Ergebnisse in keiner Weise eine Schwächung der evolutionskritischen Position. Was Neukamm hier in Deutschland und The Independent in England publizieren sind Strohmannargumente, da man den Kreationisten Aussagen und Behauptungen andichtet, die sie nie getätigt haben und diese dann widerlegt. Answers-in-Genesis hat sich meiner Meinung nach treffend zu diesem Vorgehen geäußert:
What the Independent article fails to acknowledge is that criticism of the peppered moth experiments did not hinge on whether or not the population observations were correct. It was the experimental methodology and the conclusions that were criticized. If the population distribution evidences are correct, then this is no problem for creationists. After all, we have here an example of moths evolving into … well, moths. (…)
Kettlewell’s techniques were first criticized not by creationists, but by fellow evolutionists. It is alleged in Judith Hooper’s book, Of Moths and Men, that some of the famous photographs were taken by gluing dead moths to trees. This is because the moths do not tend to settle on the bark, but fly up into the canopies. A criticism of this methodology does not negate the population observations, and if Majerus now has proof that birds are eating the relevant amounts of moths, then creationists would have no problem with that.(…)
Und um zu meinem Schulbuch vom Anfang des Artikels zurückzukommen:
The article claims that peppered moths were “the quintessential example of Darwinism in action.” This is not correct. If true, then the peppered moth experiment is an example of natural selection (which creationists accept), not evolution.
Zum Abschluss soll Dr. W.-E. Lönnig zu Wort kommen, dessen Text von Neukamm (mal wieder) in einem Zusammenhang genannt wird, wo er nicht hingehört. Erst erzählt Neukamm, dass Evolutionskritiker anhand des Birkenbannerbeispieles, die komplette Selektionstheorie in Frage stellen würden und verweist dann auf einen Text von Herrn Lönnig. Wie wenig dieser Text allerdings mit den Behauptungen von Neukamm zu tun hat sollen folgende zwei Zitate darauf zeigen.
Selbstverständlich bestreite ich nicht jeden Einfluss der Luftverschmutzung auf die populationsgenetischen Veränderungen bei den Birkenspannern und vielen weiteren ähnlich gelagerten Fällen (…) und – wie der Leser des letzteren Beitrags schnell erkennen kann – bestreite ich auch nicht grundsätzlich den Faktor Selektion
Wenn sich jedenfalls 99,9% aller Birkenspanner tagsüber nicht „in exposed positions on tree trunks“ aufhalten, dann kann dieser bisher als entscheidend betrachtete Selektionsfaktor auch nicht mehr als sicher für die Melanismusfrage beim Birkenspanner angesehen werden und die üblichen Aussagen zu diesen Problemen in den Lehrbuchdarstellungen von Kutschera und vielen anderen sind unbewiesen.
Sollte aber dieser Faktor – im Gegensatz zu allen neueren Befunden – letztlich doch noch stringent nachgewiesen werden, oder vielleicht auch ein ganz anderer Selektionsfaktor oder deren mehrere, so werden selbstverständlich auch diese Ergebnisse akzeptiert.
Fazit: Unabhängig davon, wo sich jetzt die Birkenspanner wirklich aufhalten. Sie sind ein Beispiel für Natürliche Selektion in Aktion, wobei die Selektionsdrücke je nach wirklichem Aufenthaltsort der Birkenspanner nicht eindeutig geklärt sind. Natürliche Selektion wird von Kreationisten anerkannt. Warum auch nicht? Sie ist ja genau wie Mikroevolution beobachtbar. Man kann an diesem Beispiel allerdings erneut schön erkennen, zu welchen Mitteln Kreationismuskritiker greifen um ihre Gegner schlecht dastehen zu lassen.