In der Süddeutschen Zeitung erschien am 11. September ein Beitrag mit dem Titel Der „liebe Gott“ als blutrünstiges Ungeheuer, verfasst von Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Graf von der Abteilung Systematische Theologie der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Darin geht er kritisch auf die religionskritischen Argumente von Richard Dawkins und Christopher Hitchens ein.
Der Atheistin und Biologin Sabine Schu ist dieser Beitrag natürlich ein Dorn im Auge, so dass sie ihn auf ihrem Blog sofort als Ad hominem herabwürdigt. Argumente für diese Bezeichnung bringt sie allerdings nicht, sondern verweist lediglich auf einen kurzen Kommentar der Webseite skepticker.org. Dieses Vorgehen erinnerte mich sofort an viele Beiträge von Martin Neukamm, auf dessen Hit-Liste der „am meisten verwendeten Wörtern“ Ad hominem relativ weit oben steht, aber das nur nebenbei.
Wie sieht es aber mit dem Gehalt des Skeptikerbeitrages aus? Im Vergleich zum Beitrag von Prof. Dr. Graf fällt schon beim ersten Blick auf, dass ersterer deutlich kürzer ist, aber das soll kein Ausschlusskritikerium sein. Frau Schu schreibt auch selbst, dass man sich nur die Rosinen herausgepickt habe.
Kapitel 1: Betreibt Graf Diffarmierung?
Das erste Zitat das vom SekptTicker moniert wird ist das folgende:
Richard Dawkins und Christopher Hitchens – ein biologistischer Hassprediger und ein liberaler Skeptiker greifen in ihren Büchern die Religion an.
was zum einen wie folgt kommentiert wird:
Das Attribut ‘biologistisch’ ist schon deutlich negativ konnotiert. Der durchschnittliche Leser soll hier wohl eine Nähe der Autoren zu sozialdarwinistischen Ansätze assoziieren.
Wie der anonyme Autor mit dem Nicknamen sehwolf zu dieser Aussage kommt, wird leider nicht weiter belegt. Fakt ist, dass biologistisch (bzw das dazugehörige Substantiv Biologismus) vom Ursprung her keineswegs negativ belegt ist. Es bezeichnet die philosophische Denkrichtung, dass alles seinen Ursprung im Organischen hat. Also auch das menschliche Verhalten, sein Denken und sein „Geist“ sind das Resultat biologischer Gesetze und Bedürfnisse. Könnte man das Weltbild eines Richard Dawkins besser beschreiben? Wohl kaum! Dass der Begriff einen negativen Beigeschmack hat, weil aus dem Biologismus ein Sozialdarwinismus abgeleitet wurde, kann man Herr Graf nicht zur Last legen. Also halten wir fest: Das Adjektiv biologistisch trifft auf Dawkins durchaus zu und hat mit Diffamierung nichts zu tun.
Das erste Zitat von Graf wird allerdings noch weiter kritisiert:
Weit schlimmer wiegt natürlich die Klassifikation als Hassprediger. Hassprediger, wie man hier nachlesen kann, sind Personen (…)
Wieso breche ich das Zitat ab? Weil der Rest des „Argumentes“ dadurch hinfällig wird, dass das „hier“, wo man die Definition nachlesen kann kein objektives Lexikon oder Wörterbuch ist, sondern ein Wiki, dass anscheinend vom Autor sehwolf selbst betrieben wird. Wie jeder Student (oder auch schon Schüler) lernt, ist ein Wikipedia-Eintrag nie eine zulässige Quelle um eine Aussage zu belegen. Wenn man dann noch sein eigenes Wiki zitiert bzw. zumindest eines, dass eine gewisse weltanschauliche Voreingenommenheit besitzt (in diesem Fall atheistisch), wird es allerdings noch absurder seine Aussagen mit derartigen Wiki-Beiträgen belegen zu wollen. Von daher besitzen die Aussagen von sehwolf:
Sicher, weder Hitchens noch Dawkins sind zimperlich, Hasspredigten noch sonstwie den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllende Äußerungen finden sich jedoch an keiner einzigen Stelle in ihren Büchern.
keine Überzeugungskraft. Außerdem wird nur Dawkins als Hasspredigier tituliert, so dass ein „Unschuldhinweis“ auf Hitchens hier nur zusätzlich falsche Eindrücke erweckt.
Kapitel 2: Streit um den Titel
„Kapitel 1“ ist somit abgehakt und bisher konnte sich Frau Schus Titulierung als Ad hominem bzw. die von sehwolf als Diffarmierung nicht bestätigen. Somit zum nächsten Abschnitt, bei dem sehwolf den Titel von Dawkins Buch unter die Lupe nimmt. Zunächst zitiert er dazu Graf:
In der britischen Debatte hatten mehrere prominente Seelenwissenschaftler darauf hingewiesen, dass “Wahn” ein psychiatrisch klar definierter Begriff ist und die pauschale Rede vom “Gotteswahn” nur wenig erklärt. Dawkins’ Botschaft lautet: Halte ein einzelner seine Einbildungen für objektiv wahr, diagnostiziere man Geisteskrankheit; teilten Kollektive den verrückten Glauben an übernatürliche Mächte, nenne man die Wahnvorstellung Religion.
ohne dies zu kommentieren setzt sehwolf ein von ihm übersetztes Zitat aus Dawkins Buch darunter:
Das Wörterbuch von Microsoft Word definiert Wahn als ‘das Festhalten an falschen Vorstellungen, trotz gegenteiliger Beweise, insbesondere als Symptom einer psychischen Störung’. Der erste Teil trifft Religon perfekt. Bei der Frage ob es das Symptom einer psychischen Störung ist, bin ich geneigt mich an Robert M. Pirsig zu halten, Autor von ‘Zen and the Art of Motorcycle Maintanance’ wenn er sagt: “Leidet eine Person an einem Wahn nennen wir es verrückt. Leiden viele an einem Wahn so nennen wir es Religion.”
Der Sinn hiervon leuchtet mir allerdings nicht ein. Wenn mir das jemand erklären kann, bitte bei mir melden. Ob jetzt das Microsoft Word Wörterbuch als verlässliche Quelle dienen kann, sei mal dahin gestellt. Auch liefert sehwulf mit diesem Zitat einen weiteren Beleg (neben denen die der Theologie selbst bring) für Prof. Grafs Aussage:
Solch krude Analogien verführen Dawkins dazu, selbst mit seinen ärgsten Feinden, den Kreationisten, gemeinsame Sache zu machen. Gegen all jene Religionsanalytiker, die religiöse Symbolproduktion und wissenschaftliche Theoriebildung strikt unterscheiden und deshalb die Fehden zwischen Schöpfungsgläubigen und Neodarwinisten für sachlich gegenstandslos halten, weiß er sich mit den Kreationisten darin eins, dass Glaube und Wissen denselben Deutungsanspruch erheben.
Denn wie sonst könnte man Beweise gegen den Glauben und Gott finden?
Ansonsten bestätigt doch das Zitat nur genau das was Graf über Dawkins Einsichten behauptet hat, bzw. dass er hier richtig zitiert hat. Von Diffarmierung keine Spur.
Kapitel 3: Sind das jetzt die Rosinen??
Nun folgt im SkepTicker-Artikel nur noch ein bruchstückhaftes Zitieren aus Prof. Dr. Grafs Beitrag:
Sein […] langweiliger Text […] In den eitlen Posen des alldeutenden Großaufklärers erinnert er […] prahlt mit seiner philosophischen Unbildung […] bietet er in ermüdenden Wiederholungen nur wenig Originelles […]
Herr Graf begründet diese Wertungen auf den drei Seiten seines Artikels. Dass Dawkins zu Wiederholungen tendiert ist auch nicht allein die Ansicht von Graf. Man lese Dawkins „Gotteswahn“ (oder auch andere seiner Bücher) oder wer nicht so viel Zeit/Geld hat überlfiege mal einige kritische Rezensionen des Buches. Die philosophische Unbildung wird von Graf auf Seite 2 übrigens ebenfalls erläutert:
Auch in der Kritik der alteuropäisch metaphysischen Gottesbeweise bleibt Dawkins weit unter dem Reflexionsniveau Humes oder Kants, die er dank mangelnder Quellenkenntnis für knallharte Atheisten hält.
So weit hat sehwolf vielleicht nicht gelesen, denn alle seiner Zitate stammen von Seite 1.
Kapitel 4: Zugeständnisse
In zwei Punkten muss ich sehwulf allerdings teilweise zustimmen. Zum einen wenn er das Zitat von Graf herausgreift:
Dies mag auch damit zusammenhängen, dass Dawkins’ Glaubenskritik von antijüdischen Begleittönen nicht frei ist.
und moniert, dass diese Aussage nicht begründet wird. Zu einer derartigen Behauptung gehören auch meiner Meinung nach Textbelege.
Das gleiche gilt für folgende Sätze von Graf:
Aber sind Atheisten immer “glücklich, ausgeglichen, geistig ausgefüllt” und “moralisch edel”?
[…]
Selbst die Vernichtungsexzesse in den totalitären Volksgemeinschaftslaboratorien des letzten Jahrhunderts schreibt Dawkins aufs Schuldkonto der Religion.
Auch hier fehlen eindeutig Zitate. welche dies unterstützen. Letzterer Aussage kann ich zwar prinzipiell zustimmen, allerdings muss ich heute Abend selbst auf die Suche nach der entsprechenden Textstelle begegeben.
Fazit
Prof. Dr. Grafs Beitrag hat eine Herabwürdigung als ad hominem sicher nicht verdient. Zugestehen muss ich seinen Kritikern allerdings, dass er nicht an allen Stellen wirklich methodisch sauber ist. Zu jeder Behauptung gehört eigentlich eine Quelle, was im vorliegenden Text leider nicht immer der Fall ist.